Enterprise 2.0: decodiert

Home / Business Transformation / Enterprise 2.0: decodiert

In der letzten Woche fand an der Universität Stuttgart am Lehrstuhl für Organisation ein Workshop zum Thema “Enterprise 2.0” statt. Das Publikumsinteresse war sehr hoch, der Orga-Workshop war ausgebucht und viele Vertreter aus Unternehmen haben den Weg an die Uni gefunden. Nach Praxisbeispielen von Festo, Daimler und Communardo hatte ich die Aufgabe, etwas über die Zukunftschancen dieses Themas nachzudenken. Die Präsentation ist unten eingebettet. Da ich nur 30 Minuten Zeit hatte musste ich mich auf wenige Punkte fokussieren.

Enterprise 2.0 befindet sich in den Unternehmen noch in einer frühen Phase der Umsetzung. Einige Unternehmen experimentieren mit dem Thema und es gibt auch erste durchaus positive Einsatzerfahrungen. Die große Menge der Unternehmen, insbesondere solche außerhalb der IT-Branche, ist aber noch dabei herauszufinden, ob sich ein intensiverer Einstieg in dieses Thema (“Ein Wiki haben wir ja schon”) lohnt.

Die Themen, die ich für meinen Vortrag ausgewählt hatte, waren:

  • Die Nutzung von Web 2.0-Werkzeugen im Unternehmenskontext zielt nicht mehr wie der IT-Einsatz bislang vorrangig auf die Automatisierung von Transaktionen ab, sondern ermöglicht neue Potentiale für Kollaboration und Partizipation.
  • Was können diese Werkzeuge? Was kann ich im Unternehmen damit anfangen? Diese Fragen von Praktikern zeigen, dass es notwendig ist, sich mit konkreten Einsatzfeldern zu beschäftigen. Dazu kann man vier Anwendungsklassen unterscheiden: Identitäts- und Netzwerkmanagement, Informationsmanagement, Kommunikationsmanagement und Kooperationsmanagement.
  • Im Vergleich mit der prozessorientierten IT haben diese Werkzeuge aus organisatorischer Sicht einen stark “emergenten” Charakter. Rollen, Regeln und Nutzungsstrukturen werden nicht vorgegeben, sondern entstehen über die Zeit. Es gibt große Freiheiten bei der Nutzung von Web 2.0-Werkzeugen, und gerade diese Freiheiten sind sowohl Chance als auch Risiko.
  • Durch diese Emergenz hat die organisatorische Gestaltungsaufgabe einen anderen Charakter. Es geht nicht mehr vorrangig um die Festlegung einer konkreten Konfiguration von Prozessparametern. Zentrale Gestaltungsaufgabe ist das Change Management, insb. die Überwindung von vielfältigen Einsatzbarrieren. Dazu gehören unter anderem die Angst vor Kontrollverlust, Sicherheitsbedenken und die Sicherstellung eines bestimmten Qualitätsniveaus beim Einsatz dieser Werkzeuge.
  • Enterprise 2.0 setzt voraus, dass man sich beim IT-Einsatz mehr als bisher mit den Erwartungen und Ideen der Mitarbeiter, aber auch ihrer Angst vor Veränderungen beschäftigt. Die spannende Gestaltungsaufgabe liegt in der Entwicklung von geeigneten Nutzungs- und Governancekonzepten.
  • Der Lösungs- und Gestaltungsspielraum für Enterprise 2.0 ist sehr groß, und dies ist auch die große Zukunftschance dieses Themas. Wirtschaftlich interessante Enterprise 2.0-Lösungen unterstützen dabei nicht nur die Kollaboration in Gruppen und Teams, sondern binden auch lose gekoppelte oder potentielle Netzwerkakteure in die Schaffung von Werten im Unternehmen mit ein (“Mass Collaboration”, “Crowdsourcing”).

[slideshare id=1515365&doc=jnenterprise20decodiert2009-090601004725-phpapp01]

Enterprise 2.0 hat sich bislang noch nicht zu einem Hype-Thema im Management entwickelt. Dies liegt zum einen am fehlenden tiefergehenden Verständnis, für was und wie man Web 2.0-Werkzeuge im Unternehmenskontext einsetzen kann (und die ständigen Innovationen und Weiterentwicklungen der Werkzeuge erleichtern den Versuch, diese inhaltlich zu verstehen, nicht gerade). Es geht jenseits von „Quick Wins” um neue Denkansätze und alternative Lösungskonzepte für eine Vielzahl möglicher Einsatzfelder in den Unternehmen. Dazu sind aber nachhaltige Veränderungen erforderlich, die über technische Aspekte weit hinausgehen. Das steht nicht im Widerspruch zum Hype, den es nach wie vor rund um das Thema Web 2.0 gibt. Denn schon vom ersten Internet-Hype kennen wir das sogenannte Gesetz von Roy Amara:

„Wir neigen dazu, die Effekte neuartiger Technologien kurzfristig zu überschätzen und langfristig zu unterschätzen”

Oder anders ausgedrückt: obwohl der erste Internet-Hype mit großen wirtschaftlichen Schockwellen zusammengebrochen ist, kann man sich die Nutzung des Internets in vielen Lebens- und Arbeitswelten heute nicht mehr wegdenken.