Misserfolgsfaktoren für Enterprise 2.0 und Social Business (Teil 1)

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Jurgen AppeloDieser Beitrag ist der sechste unserer Reihe zum Thema Performancefaktoren für Enterprise 2.0. Wir erinnern: wir haben relevante Studien zu Enterprise 2.0 und Social Business aus den vergangenen Jahren systematisch analysiert, welche Erfolgs- und Risikofaktoren dort abgefragt und wie diese von Führungskräften und Fachleuten aus den befragten Unternehmen bewertet wurden. In dieser Reihe geht es uns darum, die Performancefaktoren für Enterprise 2.0 und Social Business näher unter die Lupe zu nehmen.

Womit haben wir uns bereits beschäftigt?

  1. Was ist die Performancematrix für Enterprise 2.0?
  2. Was sind Erfolgsfaktoren, die den Erfolg von Enterprise 2.0 fördern?
  3. Welche besondere Bedeutung hat der Erfolgsfaktor Strategie?
  4. Was sind Misserfolgsbarrieren, die Misserfolg bei der Einführung von Enterprise 2.0 verhindern helfen?
  5. Was sind Erfolgsbarrieren, die den Erfolg einer Einführung von Enterprise 2.0 behindern können?

In diesem Beitrag geht es nun um die Misserfolgsfaktoren von Enterprise 2.0. (siehe Schaubild 1)

MisserfolgsfaktorenSchaubild 1: Misserfolgsfaktoren für Enterprise 2.0

In über 50 Studien haben wir Misserfolgsfaktoren gefunden, analysiert und in Gruppen zusammengefasst. Danach haben wir zunächst elf Misserfolgsfaktoren unterschieden.

Aber eigentlich sind es nur zehn. Der elfte “keine oder zu späte Beteiligung des Betriebsrates” war in keiner Studie als Frageitem zu finden. Aus unserer Erfahrung in Projekten, vor allem in Großunternehmen, kann aber dieser Faktor zum Show-Stopper werden, oder zumindest für eine ganz lange Zeit Einführungsmaßnahmen lahmlegen. Auch Betriebsräten fehlen meistens die Kenntnisse zu Enterprise 2.0 und Social Business. Das Aushandeln einer Betriebsvereinbarung kann sich lange hinziehen. Es empfiehlt sich daher, für die Pilotphase eine Art vorläufige Betriebsvereinbarung abzuschließen. Dann haben auch die Betriebsräte Zeit, sich ausreichend und ohne Verhandlungsdruck zu informieren und zu qualifizieren. Obwohl oder gerade weil dies eher ein deutsches Phänomen ist, haben wir es als eigenen Faktor aufgeführt.

Das Analysieren der vielen Frageitems und die Auseinandersetzung mit den Details zu den Antworten hat letztlich folgende zusammenfassende Darstellung ergeben. Dabei haben wir ganz bewusst die Anzahl der Items zu den befragten Misserfolgsfaktoren überschaubar und noch handelbar gehalten und für jeden Faktor drei -im Risiko steigende- Antwortitems gebildet.

RisikobewertungSchaubild 2: Misserfolgsfaktoren bewertet nach ihrem Risiko für einen Misserfolg

Die Bewertung der Faktoren war nicht unbedingt einfach durchzuführen. Sicher spielt der Reifegrad eines Unternehmens eine ganz große Rolle, wie Risiken eingeschätzt werden. Aber für diese Untersuchung haben wir uns ja vorgenommen: wir gehen vom wenig reifen, in Bezug auf Enterprise 2.0 “jungfräulichen” Unternehmen aus. Geholfen haben uns hierbei auch die eigenen Projekterfahrungen. Unsere Risikobewertung sieht danach wie folgt aus:

  1. Ein überschaubares Risiko bedeutet: Das Risiko ist vorhanden und eher formaler Art. Daher sollte es durch professionelle Planung und Durchführung geeigneter Maßnahmen in den Griff zu bekommen sein.
  2. Ein hohes Risiko bedeutet: Bei diesen Antwortitems spielen Emotionen eine Rolle, die immer einen großen Unsicherheitsfaktor beinhalten.
  3. Ein erfolgskritisches Risiko bedeutet: Hier “menschelt” es gewaltig. Es geht auch um Emotionen, aber mit starker persönlicher und individuell existenzieller Komponente. Diese Risiken sind immer schwer kalkulierbar und können Vorhaben, wenn man nicht damit rechnet, ohne Vorwarnung ausbremsen.

Wem die Übersicht in Schaubild 2 nicht ausreicht, kann im Folgenden nun die ersten Ergebnisse der Bewertung in ausführlicher Form lesen.

Misserfolgsfaktoren in der Kategorie “Fehlende Skills”

Misserfolgsfaktor 1: Fehlendes technisches Implementierungs- und Lösungs-Knowhow

Hier geht es um technisches Wissen zur Implementierung von sozialen Technologien. Dieses könnte man zwar einkaufen, dann sollte die IT aber trotzdem wissen, was sie einkauft. Die Antworten, die hierzu bewertet wurden, sind:

  1. Den Unternehmen fehlt die Technologie, aber auch die kompetenten Provider. Auch für die Hauslieferanten ist das Thema nicht selten Neuland.
  2. Die Komplexität von Social Software, insbesondere bei integrierten Lösungen, ist hoch.
  3. Ein dauerhafter Support kann nicht zur Verfügung gestellt werden.

Die drei Studien des MIT, die über drei Jahre dieselben Items abgefragt haben, sind hier aufschlussreich. (siehe Schaubild 3) Die notwendigen Fähigkeiten zur Implementierung von Social Software konnten in den letzten Jahren offenbar nicht so verbessert werden, dass das Risiko eines Mangels geringer eingeschätzt wurde. Im Gegenteil: dieser Faktor wurde sogar noch kritischer bewertet (von Platz 11 auf 9 auf 8), d.h. das Risiko stieg. Im Gegenzug hat sich die Bedeutung von Social Software für die Unternehmen aber verdoppelt (von 18% auf 36% auf 37%).

Technische SkillsSchaubild 3: Bedeutung von Social Software und das fehlende technische Knowhow [1]

Berücksichtigt man dabei noch die Anzahl der Teilnehmer, die befragt wurden, ist folgende Interpretation zulässig: Die Bedeutung von Social Software für die Unternehmen hat drastisch zugelegt. Im Zuge dessen haben die Unternehmen offenbar ihre Schwäche bei der Implementierung noch stärker wahrgenommen und deren Risiko nochmals höher bewertet.

Misserfolgsfaktor 2: Fehlendes fachliche Planungs- und Einführungsknowhow

Hier geht es sowohl um das fehlende Grundverständnis von Enterprise 2.0 für die Unternehmen als auch um einen fehlenden Methodenkoffer für die Einführung. Die Antworten, die hierzu bewertet wurden, sind:

  1. Das Wissen über grundsätzliche Zusammenhänge von sozialen Technologien und deren Potenziale für die Geschäftsprozesse fehlt.
  2. Das Problem der Messbarkeit der Effektivität oder auch anderer Wirkungen von Social Software zeigt sich vor allem in der konkreten Planungs- und Einführungsphase, wenn der Nutzen nachgewiesen werden muss. Das fehlende Wissen über ROI, Metriken, Erfolgskennzahlen, Qualitätsmerkmalen u.a. macht in der Regel diesen Nachweis schwierig und ein damit erforderliches Risikomanagement hinsichtlich Gefährdungspotenziale oder Nutzungsmöglichkeiten nahezu unmöglich. Das Risiko von Anforderungen, die man nicht kennt, kann man auch nicht einschätzen.
  3. Konzepte, Vorgehensweisen, Methoden und das Mindset zum Wandel sind nicht nur Erfolgsfaktoren bei der Einführung von Enterprise 2.0. Vielmehr werden sie zu Risikofaktoren, wenn sie aufgrund von fehlender Expertise bei der Planung unzureichend oder gar nicht zum Einsatz kommen.

Neben den kulturellen Faktoren, zu denen ich in den nächsten Beiträgen noch komme, gehören Knowhow-Defizite, ob fachlich oder technisch, zu den Top-Herausforderungen nach einer McKinsey Studie, um digitale Ziele zu erreichen. (siehe Schaubild 4)

McKinsey 2014Schaubild 4: Die 5 größten Herausforderungen für digitale Programme [2]

Misserfolgsfaktor 3: Fehlende Anwenderqualifizierung

Hier geht es zum einen um

  1. technische Schwierigkeiten, die die Anwender haben beim Umgang mit den neuen Tools. Diese funktional-technische Kompetenz der Anwender, die erforderlich wird, birgt Risiken.
  2. Zum zweiten geht es um die Nutzungsvielfalt von sozialen Technologien, die die Anwender verwirrt. Diese Anwendungsqualifikation und die Frage, was nutze ich wofür und wann, benötigt Geduld, Experimentierlust und anfänglicher Mehraufwand. Aufgeben und Rückfälle in die Nutzung alter Tools sind vorprogrammiert.
  3. Zum dritten geht es um fehlende Kompetenzen, wie digitales Arbeiten funktioniert. Für das Beherrschen neuer Arbeitsweisen und -methoden für die Kollaboration und das Arbeiten in Communitys müssen die Anwender nicht nur neue Technologien anwenden, sondern sie müssen auch noch anders arbeiten und völlig umdenken. Bei diesem Wandel kann man viel falsch machen. (siehe Schaubild 6)

AnwenderqualifikationSchaubild 6: Anforderungen an die Arbeit der Zukunft

Die Einordnung dieses Faktors in die Kategorie kritisches Risiko kommt daher, dass umfassende Qualifizierungs- und Enablingmaßnahmen zu Enterprise 2.0 für Anwender meist eine untergeordnete Rolle für die Unternehmen spielen. Was dazu führt, dass Anwender schnell frustriert werden und die Nutzung einstellen. Eine Nichtnutzung bis hin zur Verweigerung von Social Software ist erst mal ein Aus für die Einführung von Enterprise 2.0. Der zweite Anlauf im Enabling, nach der Erkenntnis, dass eine Technikschulung zu Social Software nicht ausgereicht hat -dieser zweite Versuch ist im Übrigen nicht ungewöhnlich- benötigt bei weitem aber mehr Aufwand für Überzeugung und Abholen der Anwender. Von daher sollte man die erste Chance nicht ungenutzt lassen.

Im nächsten Beitrag geht es dann um Misserfolgsfaktoren (Teil 2) in der Kategorie “Ängste”. Im abschließenden Beitrag zu Misserfolgsfaktoren (Teil 3) geht es um die Kategorie “Kultur passt nicht”.

Verwendete Literatur

[1] MIT Sloan Management Review in Cooperation with Deloitte:

  1. 2012: Kiron, David; Palmer, Doug; Nguyen Phillips, Anh; Kruschwitz, Nina (2012): Social Business: What Are Companies Really Doing? Social business is still just getting started. But its value is clearly emerging for marketing, innovation, operations and leadership. Findings form the 2012 social business global executive study and research project. P. 23
  2. 2013: Kiron, Davin; Palmer, Doug; Nguyen Phillips, Anh; Berkman, Robert (2013): Social Business: Shifting Out of First Gear. Findings From the 2013 social business global executive study and research project. P.   22
  3. 2014: Kane, Gerald; Palmer, Doug; Nguyen Phillips, Anh; Kiron, Davin; Buckley, Natasha (2014): Moving Beyond Marketing. Generating Social Business Value Across the Enterprise. P. 24

[2] Gottlieb, Josh; Willmoth, Paul (2014): The digital tipping point. McKinsey Global Survey Results. 2014. P. 6

Unsere vorliegenden Beiträge dieser Reihe:

  1. Die Performancematrix
  2. Erfolgsfaktoren
  3. Exkurs: Erfolgsfaktor Strategie
  4. Misserfolgsbarrieren
  5. Erfolgsbarrieren
  6. Misserfolgsfaktoren (Teil 1) (Teil 2) (Teil 3)

Bildnachweis – Vorschaubildausschnitt oben links:   © Jurgen Appelo, Creative Commons 2.0